Helene Nostitz - Aus dem alten Europa
Aus dem alten Europa
Helene Nostitz
Beschreibung
Ich sehe in der Pariser Deutschen Botschaft eine breite, rot belegte Treppe; an den Seiten, aufrecht gegen die Wand gelehnt, steht eine Reihe Diener mit gepuderten Köpfen, roten kurzen Samthosen und gelben Westen. Diese Treppe hinunter schreitet ein überragend großer Herr, der ohne Stolz, eher zerstreut, in Gedanken versunken seines Weges geht. Er schüttelt den rassigen Kopf, den ein kurzer weißer Bart umrahmt, vor sich hin, als wäre er mit etwas nicht einverstanden, und murmelt „Schafskopf!“ zwischen den Zähnen. Aber mit der Grazie des Grandseigneurs wird dieses Wort ausgesprochen, so daß es dadurch einen eigenen Stil bekommt. Die Diener neigen sich unmerklich vor ihrem Herrn, dem Fürsten Münster. Sie haben das Selbstgespräch nicht gehört und würden es auch nur dahin auslegen: Seine Durchlaucht sind immer mit Politik beschäftigt. So ist es auch. Kaum an seinem großen Empire-Schreibtisch angelangt, ergreift der alte Herr einen Haufen Zeitungen und studiert sie aufmerksam mit der Lupe, die er in der Hand hält. Schon hat er den Punkt erkannt, auf den es ankommt, der aber nicht gedruckt dasteht, und er lächelt.