Reinhard Knoppka - kurz gesagt: Aphorismen 6
kurz gesagt: Aphorismen 6
Aphorismen
Reinhard Knoppka
Beschreibung
Leseprobe: Lebendig begrabene Bücher werden ihrem Scheintod entrissen, wenn ihre Beerdiger endlich selber gestorben sind. Früher war der Künstler ein unbeirrbarer Individualist. Heute ist er die Kreatur einer Schule, Bewegung oder des Kunstbetriebs. Früher sollte man auf irdische Güter zugunsten des Himmelreichs verzichten. Heute sieht man im Konsum das Himmelreich auf Erden. Liebe ist das Wunder, in dem sich das Göttliche im Menschen offenbart. Für Sokrates war die Tugend die absolute Wahrheit. Für den Skeptiker ist die absolute Wahrheit die Untugend an sich. Liebe: ein himmlischer Zustand, der sich mit der Entfernung der geliebten Person zunehmend in eine Hölle verwandelt. Die Kehrseiten der Liebe: höchstes Glücksgefühl und größter Seelenschmerz. Die subtilste Form der Subversion ist die Ironie. Wer auf seine Ironie stieß, trat wie in Treibsand und versackte, ohne zu wissen, warum. Spricht ein Zyniker die Wahrheit, wird sie beschmutzt – von einem Kind oder Tor ausgesprochen, wird sie wieder rein. Starrsinnigkeit: Geistesverkalkung. Der Kommunismus hat das Paradies auf Erden versprochen und die Hölle auf ihr geschaffen. Die muffigen Talare, die die Linken einst abzuschaffen gelobten, haben sie nur auf links gewendet und dann selber angezogen: so viel zu „links“. Wie es keine Prügelstrafe mehr gibt, so auch keine Hinrichtung: heute bevorzugt man andere Mittel. Die linken Intellektuellen merken gar nicht, daß sie nur die spiegelverkehrte Erscheinung der rechten Reaktionäre sind. Der Kommunist ist genau so xenophob wie der Christ oder Moslem: was für diese ein Heide oder Ungläubiger, ist für jenen der Konterrevolutionär. Die Gewißheit des Schülers läßt seinen Meister an ihn zweifeln, so wie dessen Unzweifelhaftigkeit die Skepsis des Schülers erregt. Mit dem Tod Gottes ging eine Art Verameisung der Menschen einher. Das Paradies ist ein nur von der Hölle aus zu erkennender Ort. Für gewöhnlich werden Probleme ihren Lösungen vorgezogen, weil sich so gut davon leben läßt. Das Leben ist eine Ansammlung von Tatsachen, die oft mit Illusionen darüber verwechselt werden – die wiederum andere Tatsachen schaffen: so verkompliziert sich alles. Wenn Habenichtse ihren Wählern alles mögliche versprechen, müssen sie es doch irgendwem rauben, oder? Auf dieser Welt ist es nun mal so, daß, was nicht mit Zähnen und Klauen verteidigt wird, anderen zum Opfer fällt.